Your friend just went for swimming
Das erste Mal bemerkte ich es in Athen. Es sieht aus, als würde er Anlauf nehmen, um die nächsten vier Schritte so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Eine kurze Pause, und dann wieder los. Für einen Moment denke ich, es liegt nur an meiner Müdigkeit. Doch kein Zweifel: Der Sekundenzeiger tickt nicht mehr richtig. Kein Verlass mehr auf meine Uhr, die ich gerade jetzt so dringend brauche. Allein unterwegs in der weiten Welt. Ein kleines Abenteuer, fast wie früher, als es noch keinen Ort gab, den ich meine Heimat nannte, keine kleine Herde, die heute mein ganzes Leben ist, keine Kinder, die die Nächte bis zu meiner Rückkehr zählen.
Die Sonne wärmt meinen Rücken, wärmt meine Beine. Auf den Tisch, an dem ich diese Kolumne schreibe, regnet es orangerote Blüten. Ich müsste nur die Hand ausstrecken, um mir eine Zitrone zu pflücken. In der weichen Luft der starke Duft von Jasmin, und an dem weißen Torbogen rankt sich eine fuchsiarote Bougainville. Ich genieße es sehr. Genieße es gar nicht.
Und das nicht erst, seit ich weiß, dass die Piloten vielleicht streiken werden. Ausgerechnet jetzt! Seit Jahren bin ich nicht geflogen. Habe mich dann doch dazu entschlossen. Das „Hydra Late Summer Camp“ findet nun einmal auf einer griechischen Insel statt. Was darf man sich gönnen? Was ist zu viel? Was nehme ich mir raus? Schreiben und Yoga – wie für mich gemacht! Gerade jetzt, wo sich immer mehr Unternehmen von den kandierten Worthülsen der KI beeindrucken lassen. Vielleicht die Chance, noch einmal neu zu entdecken, was es für mich bedeutet, Worte in Word zu hacken.
Ich war die Erste, die sich anmeldete. Dann erschrocken vor dem eigenen Mut. Ich hatte mir ausgemalt, wie ich einsam in Daniel Kehlmanns „Lichtspiel“ vertieft hier in diesem Garten sitzen, mich schrecklich unwohl und einsam fühlen würde. Ein Alien zwischen mondänen Frauen in schönen Kleidern, Schauspielerinnen vielleicht, die mich abfällig mustern. Deren Codes mir fremd sind, weil sie in meiner kleinen Stadt keine Rolle spielen. Das Bild war unscharf, was es umso beängstigender machte. „Outrovertiert“ nennt man offenbar die, die sich in Gruppen wie unter einer Glasglocke fühlen. Eine unsichtbare Wand, aber doch habe ich immer den Wunsch, einfach so mitschwimmen zu können.
„Your friend just went for swimming!“, lässt mich George an der Rezeption wissen. Ich laufe so schnell mich meine langen Beine tragen. Habe das Gefühl, durch diese hübschen Gassen zu schweben, hinunter zur Spilia. Will keine Sekunde verpassen. Das Meer ist so dunkelblau und dabei so klar, wie ich es noch nirgendwo sonst gesehen habe. Wie heißen diese Edelsteine? Saphire? Ich schwimme auf dem Rücken, beobachte die zarten Wolken. Ich schwimme mit und könnte mich nicht wohler fühlen als zwischen genau diesen Frauen. Alle ihre Namen konnte ich mir sofort merken, was mir sonst nie gelingt. Ich tauche kurz unter in das weiche Wasser und wundere mich, wie weit ich schauen kann.
Wieder so ein Moment, an dem die Zeit gerne stehenbleiben kann. Und dann soll sie bitte wieder schneller vergehen. Und mich irgendein Pilot auf direktem Weg dorthin zurückbringen, wo ich zuhause bin.