So ist sie, die Luft da oben

„Das kann doch wirklich nicht sein, dass Sie jemand übersieht!“, wundert sich die Frau. Sie fragt mich im Scherz, ob sie mich vielleicht hochheben soll. „Bitte, gerne!“, entgegne ich ihr lächelnd. Noch immer hat B mich nicht entdeckt, da kann ich noch so wild winken. Meine neue Bekanntschaft legt nach: „Ich finde das schön, wenn eine Frau so groß ist – also ich persönlich.“

Bis hierher fand ich‘s nett. Es erinnerte mich an Amsterdam, wo Menschen einen einfach ansprechen, ohne irgendeinen Hintergedanken. Eine fremde Frau, die vorm Optikerladen eine Sonnenbrille testet und von mir wissen will, ob sie ihr steht. Ein kurzer freundlicher Austausch – in Amsterdam ist sowas alltäglich, weshalb ich mich dort keine Sekunde einsam gefühlt habe. Nicht, wenn ich abends allein ins Paradiso gegangen bin. Nicht, wenn ich mittags bei „Zoep en zo“ eine Suppe gelöffelt habe.

Ich mag es eigentlich, dass so ein kleines Gespräch zwischen Fremden jetzt auch hier, auf der Frankfurter Buchmesse, stattfindet. Aber etwas irritiert mich daran. „Ich persönlich finde das schön.“ Warum sagt sie „persönlich“? Bei mir hinterlässt es den Eindruck, dass sie ihre Meinung für exotisch hält. Und warum sortiert sie meine Größe in die Kategorie „schön – nicht schön“ ein? Andersherum ist es jedenfalls so, dass ich mich kein bisschen mehr daran erinnern kann, wie diese Frau aussieht. Ich fand sie weder schön noch nicht schön. Nur ihre Worte sind mir in Erinnerung geblieben.

Seit ich mit B durchs Leben gehe, kommt es sehr viel seltener vor, dass ich auf meine Größe angesprochen werde. Aber er ist ja nicht immer und überall dabei, und dann passiert es doch. Ich habe mitgezählt: bis zu dreimal in einer halben Stunde. Von vorbeilaufenden Businesstypen, von Busfahrern und Verkäuferinnen. Und sogar in New York, wo die Menschen doch schon alles gesehen haben müssten: „How tall are you? Six feet three? Amazing!“ Andere sehen mich mitleidig an, wie der Kassierer an der Tankstelle: „Mit Ihrer Größe ist es sicher schwer, einen Mann zu finden?“

Mein Körper ist für einige Menschen eine Überraschung. Etwas, das man nicht unkommentiert stehenlassen kann. Und hin und wieder wird er sogar als feministisches Statement missverstanden. „Ein Meter neunzig? Das ist mal ‘ne Ansage!“, meinte eine Dozentin in einem Online-Workshop. Aber so ist es ja nicht. Ich habe mir meine Größe nicht ausgesucht. Sie ist einfach da, wie eine auffällige Nase oder eine besondere Haarfarbe. Außergewöhnlich, aber für mich: nicht der Rede wert. Manchmal lästig, wenn es darum geht, einen neuen Wintermantel, eine Yogahose oder ein Auto zu kaufen. Manchmal praktisch, wenn man in Menschenmengen den Überblick behalten will.

„Ist es okay, wenn ich Sie anspreche?“, fragt mich eine junge Frau in der Fußgängerzone. Nein, ist es nicht, aber was soll’s – sie hat’s bereits getan. Ich überlege, dass ich einfach freundlich die gewünschte Zahl liefern werde. Doch sie fragt mich gar nicht, wie groß ich bin. „Ich finde, sie sehen sehr schön aus.“ Sagt’s und geht weiter. Und ich bleibe verblüfft zurück und freue mich.

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Was bleibt? Immerhin der Duft von „Hydra Figue“ ...