„Ich bin mir sicher, dass ich in meinem Arbeitsleben nie wieder ein spannendes Projekt verantworten werde.“ Das erklärte mir nicht etwa jemand, der kurz vor der Rente steht, sondern eine Frau Mitte dreißig. Sie ist topp ausgebildet, ihr Job macht ihr Spaß – und sie rechnet fest damit, dass sie in den nächsten vielleicht dreißig Jahren nur noch Hilfsarbeiten übernehmen wird. Der simple Grund: Sie hat zwei Kinder. Als sie nach der ersten Elternzeit halbtags ins Büro zurückkehrte, musste sie feststellen, dass sich vieles verändert hatte. Eine neue, jüngere Mitarbeiterin wurde mit den Projekten beauftragt, für die sie früher zuständig war. Jetzt durfte sie nur noch zuarbeiten. Unnötig zu erwähnen, dass ihre Motivation seitdem im Keller ist.
Falscher Arbeitgeber? Mit Sicherheit. Trotzdem ist dies alles andere als ein Einzelfall. Lange Zeit habe ich mir über Gleichberechtigung wenig Gedanken gemacht, denn für mich war sie schon längst gegeben. Ich hatte es nie anders erlebt. Bei uns war es meine Mutter, die als Gymnasiallehrerin und später Direktorin das Geld nach Hause brachte. Erst als ich in den Kreis der Neu-Mamas aufgenommen wurde, erkannte ich, wie sehr sie mich damit inspiriert und mir meinen Weg geebnet hat.
Männer in Elternzeit? Das kostet.
Der Anteil der Väter, die in Elternzeit gehen, liegt heute bei etwa 40 Prozent. Über 70 Prozent dieser Männer nehmen nur das Minimum von zwei Partnermonaten.1 Ich weiß nicht, wie oft mir Freundinnen vorgerechnet haben, dass diese Aufteilung in ihrem speziellen Fall das Beste sei, weil ihr Mann mehr verdiene als sie. Jeder Monat, in dem er statt ihr in Elternzeit gehen würde, sei teuer. Es ist eine individuelle Entscheidung, aber ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Noch immer verdienen Frauen pro Stunde 20 Prozent weniger als Männer.2 Hinzu kommt, dass in fast Dreiviertel aller Ehen der Mann älter ist als die Frau und etwa drei Jahre länger Zeit hatte, seine Karriere aufzubauen.3 4 Da ist es wenig erstaunlich, dass Er mehr Gehalt bekommt als Sie, wenn sich das erste Kind ankündigt. Kurzfristig mag es sich rechnen, wenn der Vater nicht länger als zwei Monate zu Hause bleibt, und es gibt bestimmt Fälle, in denen das finanziell auch gar nicht anders machbar ist. Für besserverdienende Paare scheint mir das aber eine Milchmädchenrechnung zu sein – mit langfristig negativen Folgen, nicht nur finanziell.
Augen zu – und Rolle rückwärts
Ich bin überzeugt, dass sich Väter ebenso gut um Babys und Kleinkinder kümmern können wie Mütter, vom Stillen einmal abgesehen. Im ersten Lebensjahr beginnen die meisten Eltern aber, sich zu spezialisieren. Während Mama eine immer engere Bindung zu ihrem Kind aufbaut und eine Expertin darin wird, es zu betreuen, entwickelt sich Papa beruflich weiter, erhält eine Gehaltserhöhung oder macht vielleicht sogar den nächsten Karrieresprung. Bei jedem weiteren Kind wird die Frage, wer wie lange in Elternzeit geht und wer anschließend Vollzeit, wer Teilzeit arbeitet, immer leichter zu beantworten. Plötzlich finden sich Paare in einer traditionellen Rollenverteilung wieder, die sie so vielleicht niemals wollten.
Im Ergebnis arbeiten über 70 Prozent aller Frauen mit Kindern unter 3 Jahren (wenn überhaupt) Teilzeit. Bei den Männern sind es weniger als 7 Prozent. Die Arbeitsaufteilung mag als Übergangslösung gedacht sein. In der Realität manifestiert sie sich aber oft: Selbst unter Müttern, deren jüngstes Kind schon zwischen 15 und 17 Jahre alt ist, sind noch fast zwei Drittel (61 Prozent) teilzeitbeschäftigt.5
Das Phänomen, dass Mütter im Vergleich zu Frauen ohne Kinder schlechter in den Arbeitsmarkt eingebunden sind, ist übrigens ein typisch deutsches: In der EU lässt es sich nur in drei weiteren Ländern (Estland, Irland und Großbritannien) beobachten.6 Während die Durchschnitts-Mutter hierzulande 17 Stunden erwerbstätig ist, sind es in Dänemark, Norwegen und Schweden mindestens 30 Stunden.7
Die Konsequenzen
Drei Fakten haben mich bei meinen Recherchen besonders beeindruckt:
- Der Bruttostundenlohn von Frauen stagniert im Durchschnitt ab der Geburt des ersten Kindes.8
- Das Erwerbseinkommen von Frauen zwischen 25 und 45 Jahren trägt nur zu einem Viertel zum Haushaltseinkommen der Familie bei.9
- Auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet, erzielen Frauen 45 Prozent weniger Erwerbseinkommen als Männer.10
Als Argumente dafür, dass Mütter sich im Berufsleben nicht die Butter vom Brot nehmen lassen sollen, werden meist die drohende Altersarmut und eine mögliche Scheidung angeführt. Schließlich erhalten Frauen aus eigenen Ansprüchen gerade einmal halb so viel Rente wie Männer.11 Und dass jede dritte Ehe geschieden wird und dann (wenn auch mit Ausnahmen) der Grundsatz der Eigenverantwortung gilt, dürfte sich herumgesprochen haben.
Wem beides sehr weit weg erscheint, kann sich vor Augen führen, was für ein riskantes Spiel es ist, drei, vier oder mehr Personen von nur einem einzigen Arbeitgeber und der Gesundheit und Leistungsfähigkeit nur einer einzigen Person abhängig zu machen.
Aber es geht um viel mehr, als nur um Geld. Es geht darum, was wir uns für unser Leben, unsere Partnerschaft und unsere Familie wünschen. Darum, ob Frauen Männern die Gestaltungsmacht in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik überlassen wollen.12 Aber auch darum, ob Männer ihre Kinder gleichberechtigt beim Aufwachsen begleiten wollen.
Was tun?
Was soll man da machen, wenn sogar das Familienministerium konstatiert, dass es „derzeit kein Arbeitszeit- und Betreuungsmodell gibt, das eine Vereinbarkeit von Vollzeit- oder vollzeitnaher Berufstätigkeit und Familie ermöglicht“?13
Ein guter Anfang ist, sich bewusst zu machen, welche Auswirkungen Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, mittel- und langfristig haben können. Wenn es finanziellen Spielraum gibt, erscheint es zum Beispiel klug, die Entscheidung, wer wie viele Monate Elternzeit nimmt, nicht davon abhängig zu machen, was sich kurzfristig am meisten rentiert.
„Wie kriege ich das nur alles unter einen Hut?“ Diese Frage stellen sich auch heute noch vor allem die Frauen – an den Arbeitszeiten der Männer hat sich in den vergangenen Jahren jedenfalls kaum etwas geändert.14 Dabei sollte Vereinbarkeit eine Herausforderung sein, die sich beiden Partnern zu gleichen Teilen stellt und die sie gemeinsam zu meistern versuchen.
Gleichzeitig müssen sich die Rahmenbedingungen weiter verbessern. Es liegt an uns, ob wir die Möglichkeiten, die es heute bereits gibt, auch nutzen, und ob wir Unternehmen die Flexibilität abverlangen, die wir brauchen. Jeder Mann, der sich traut, eine längere Auszeit zu nehmen, jede Führungskraft, die zeitliches Engagement nicht mit Leistung gleichsetzt, trägt dazu bei, dass sich langsam, aber stetig etwas ändert.
Arbeit und Familie sollten keine doppelte Belastung, sondern eine doppelte Bereicherung sein. Sich dafür stark zu machen, lohnt sich – für Frauen wie für Männer.
Quellen (letzter Zugriff: 23.9.2020):
1 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.: Elterngeld und Elterngeld Plus: Gleichmäßige Aufteilung zwischen Müttern und Vätern nach wie vor in weiter Ferne
2 Statistisches Bundesamt: Gender Pay Gap 2019: Frauen verdienten 20 % weniger als Männer
3 Statistisches Bundesamt: Durchschnittliches Heiratsalter von Männer und Frauen in Deutschland von 1991 bis 2018
4 Wikipedia: Altersunterschiede in Partnerschaften
5 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut WSI: Teilzeitquoten nach Elternschaft und Alter des jüngsten Kindes 2017
6 Angelika Kümmerling: Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Arbeitszeiten
7 OECD: Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf
8 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Auf dem Weg zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern
9 OECD: Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf
10 Bertelsmann Stiftung: Die große Kluft: Frauen verdienen im Leben nur halb so viel wie Männer
11 Sparkasse: Renten Gap – das sollten Sie wissen
12 NDR: Fünf Gründe für Altersarmut bei Frauen
13 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Auf dem Weg zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern
14 Angelika Kümmerling: Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Arbeitszeiten