„Ich war jung und brauchte das Geld!“ Mit diesen Worten beantwortete eine Unternehmensberaterin die Frage, warum sie sich nach dem Studium für ihren Arbeitgeber entschieden hat. Das Interview sollte in einem Karrieremagazin veröffentlicht werden – und das Unternehmen natürlich im besten Licht erscheinen lassen. Ich habe damals den Fehler gemacht, den Satz zu streichen. Sowas kann da doch unmöglich stehen! Heute würde ich mich anders entscheiden. Denn immer, wenn im Interview ein Satz wie dieser fällt, wird es authentisch. Und genau das ist es, was heute alle – und vor allem: alle Arbeitgeber – sein wollen. Aus gutem Grund.
Warum braucht Ihr Unternehmen eine authentische Arbeitgebermarke?
Ganz einfach: Nur mit einer authentischen Arbeitgebermarke lassen sich Stellen schnell und gut besetzen. Wenn Ihr Unternehmen Charakter zeigt, wecken Sie das Interesse von Menschen, die wirklich passen – die sich wohlfühlen, eine hohe Identifikation entwickeln und lange bleiben werden. Sie werden diese Goldstücke viel leichter finden, wenn sie sich nicht in einem tonnenschweren Sandberg unpassender Bewerbungen verstecken. Nicht zuletzt vermeiden Sie Enttäuschungen. Gerade in Zeiten von kununu & Co. kann sich niemand enttäuschte Bewerber*innen und Mitarbeiter*innen erlauben, denn sie können nicht nur der Arbeitgeber-, sondern auch der Unternehmensmarke ganz erheblichen Schaden zufügen.
Kein Wunder also, dass so gut wie jedes Unternehmen eine authentische Arbeitgebermarke haben will. Trotzdem haben die wenigsten eine.
Unternehmen schauen nach innen, schauen nach außen, erarbeiten eine Positionierung – und erzielen viel zu oft ein Ergebnis, das völlig beliebig erscheint. Karriereseiten zu sichten, kann eine Zumutung sein, vor allem wenn die Unternehmen derselben Branche angehören. Immer wieder sind die gleichen Floskeln zu lesen. Wären da nicht Unternehmensname und Logo zu sehen, man wüsste gar nicht, um welchen Arbeitgeber es gerade geht. Ein paar aktuelle Beispiele:
- „Zukunft intelligent und engagiert mitgestalten“
- „Gestalten Sie mit uns die digitale Zukunft!“
- „Gestalten Sie gemeinsam mit uns die Digitale Zukunft“
- „Jetzt Zukunft gestalten“
- „Zukunft gestalten, gemeinsam“
- „Gemeinsam die Zukunft gestalten“
- …
Da wird dann der Unterschied gemacht, die Mitarbeiter sind das größte Kapital, es wird in ihre Weiterbildung investiert, sie haben vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten, herausragende Karrierechancen und profitieren von flexiblen Arbeitszeiten und -modellen und spannenden Herausforderungen. Genügend Freiraum ist auch noch wichtig. Und natürlich das Miteinander.
So austauschbar, wie die Unternehmen als Arbeitgeber wirken, sind sie natürlich nicht. Was läuft da schief? Erklärungsversuche.
- Vielleicht ist es der Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn alle Mitbewerber flexible Arbeitsbedingungen versprechen, muss ich das doch auch, oder?
- Es könnte sein, dass es zwar eine Befragung der Mitarbeiter*innen gab, es aber nicht gelungen ist, differenzierende Merkmale herauszuarbeiten.
- Möglicherweise spiegelt die Positionierung einfach nur den gemeinsamen Nenner wider – der viel zu klein ist, um wirkungsvoll zu sein.
- Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die Personen, die für die Entwicklung der Arbeitgebermarke zuständig sind, sich selbst nicht zu 100 % mit dem Unternehmen identifizieren und sich innerlich distanzieren.
- Und dann wäre da noch die Angst. Die Angst, dass das Management das Unternehmen nicht gut genug dargestellt findet. Die Angst, dass der Arbeitgeber weniger attraktiv erscheint als andere. Die Angst, etwas verkehrt zu machen.
Wie geht es besser?
Vor allem: mit Mut! Das gilt nicht nur für die Personen, die für die Entwicklung der Arbeitgebermarke verantwortlich sind, sondern auch für ihre Vorgesetzten, letztlich für das gesamte Unternehmen. Auch eine belanglose Karriereseite kann authentisch sein – dann allerdings ungewollt und im negativen Sinne. Eine Aneinanderreihung von Floskeln ist Ausdruck davon, dass es in diesem Unternehmen offenbar an vielem mangelt, was so gerne beschworen wird: an Freiräumen und Teamgeist, zum Beispiel.
Authentizität ist kein Wert an sich. Es tut nicht Not, jeden Abgrund des Unternehmens zu beleuchten. Stattdessen lautet die Aufgabe, Charakteristisches zu finden, das für manche durchaus negativ sein kann – und es so positiv darzustellen, dass es die richtigen Menschen anspricht. Wenn bei Ihnen niemand weniger als 60 Stunden die Woche arbeitet, können Sie das hohe Pensum nicht verschweigen. Was den meisten als Zumutung erscheint, ist für die Personen, die zu ihrem Unternehmen passen, eine reizvolle Challenge und eine Möglichkeit, sich zu beweisen.
Wer heute als Arbeitgeber authentisch erscheinen will, zeigt echte Mitarbeiter*innen und lässt sie in Blogs, Videos oder Interviews zu Wort kommen – selbstverständlich ein sehr guter Ansatz. Allerdings können solche Testimonials schnell werblich und damit unglaubwürdig wirken. Ich beobachte, dass sich viele Unternehmen mehr Gedanken über die richtigen Maßnahmen machen, als darüber, wie sie umgesetzt werden.
Ob eine Arbeitgebermarke als authentisch wahrgenommen wird, hängt ganz entscheidend davon ab, wie sie in Sprache übersetzt wird (und in Bilder, aber das ist nicht mein Metier).
Ein paar Tipps:
- Die Formulierungen müssen die Inhalte widerspiegeln. Wer als unkompliziert wahrgenommen werden will, braucht schnörkellose Sätze. Wer flache Hierarchien verspricht, sollte duzen. Und Internationalität verträgt durchaus den ein oder anderen Anglizismus. Finden Sie Ihren ganz individuellen Ton, den Sie in einer „Tone of Voice“-Guideline festhalten. Nach Nielsen Norman Group sind die wichtigsten Dimensionen dabei: humorvoll vs. seriös, formal vs. locker, respektvoll vs. frech, enthusiastisch vs. sachlich.
- Werden Sie immer so konkret wie möglich. Schreiben Sie nicht von „flexiblen Arbeitsbedingungen“, sondern benennen Sie, was Ihr Unternehmen bietet. (Ist es nur Mittelmaß, trauen Sie sich, diesen Punkt zu streichen!) Am besten erzählt ein Mitarbeiter, wie er die Flexibilität nutzt, um im Alltag alles unter einen Hut zu bekommen.
- Hinterfragen Sie in Ihren Texten jedes einzelne Wort und finden Sie selten benutzte und zugleich besonders passende Begriffe. Sprechen Sie nicht von „Work-Life Balance“, nur weil das alle tun. Vielleicht wäre „Work-Life Harmony“ treffender? Hilfreich ist eine Mindmap mit Wörtern, die zu den Kernelementen Ihrer Arbeitgebermarke passen.
- Keine Verneinungen. Sie sind „nicht bürokratisch“? Dann schreiben Sie, was Sie stattdessen sind! Sie kennen das Beispiel: Wer aufgefordert wird, jetzt bitte NICHT an einen rosaroten Elefanten zu denken, hat das Bild im Kopf. Genauso geht es den Talenten, auf die Sie plötzlich „bürokratisch“ wirken.
- Und wenn Sie Mitarbeiter*innen einbinden: Lassen Sie die Leute so sprechen, wie sie sprechen! Schaffen Sie die Rahmenbedingungen dafür, dass sie sich authentisch zeigen können. Reden Sie ihnen so wenig wie möglich rein. So einfach ist das.
Die Unternehmensberaterin hat zum Glück darauf bestanden, dass „Ich war jung und brauchte das Geld!“ den Weg zurück in ihr Interview findet, und zwar als erster Satz ihrer allerersten Antwort. Damit hatte sie gleich platziert, dass sie gut bezahlt wird (nach wie vor ein wichtiges Kriterium bei der Arbeitgeberwahl). Vor allem aber verschaffte ihr dieser Einstieg einen Vertrauensvorsprung. Und macht ihre folgenden Aussagen dazu, warum ihr Arbeitgeber besonders attraktiv ist, extrem glaubwürdig.
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